Mittwoch, 25. September 2013

Dämmerfahrt 2013

So eine Fahrt ohne "Wiederkehr" zu organisieren, ist im Vorfeld immer etwas aufwändig. Dieses Mal haben wir unsere Autos, die unsere Rückkehr vom Schönberger Strand sicherstellen sollten, nicht erst am Tag der Fahrt selbst sondern einfach einen Tag vorher an den Zielort gefahren. Das hat die Sache deutlich entspannt, denn es gibt einfach mehr Leute, die am Abend mal eine Stunde erübrigen können, als am frühen Nachmittag. Durch den normalen Schrumpfungsprozess, den der Teilnehmerkreis einer angekündigten Fahrt im Laufe der Zeit erfährt, blieben schließlich sechs Teilnehmer übrig, die wir inklusive ihrer Boote bequem mit den zwei bereitgestellten PKW transportieren können.

Es soll das erste mal, seit dem wir diese Fahrt unternehmen, Ostwind herrschen, uns also mit Stärke drei bis vier von vorne ins Gesicht wehen. Das mag uns etwas bremsen, ist aber natürlich kein Grund, die Aktion abzublasen - ebenso wenig wie der angekündigte Regen. Aus den Erfahrungen im letzten Jahr haben wir diesmal auf die nutzlosen Angelknicklichter verzichtet - aber ich habe zwei deutlich üppiger bemessene Exemplare dabei und Betzi hat ebenfalls eines davon mit. Wir werde sehen, was wir damit für Erfahrungen sammeln.
Einige Minuten vor sieben Uhr sind wir an der Ansteuertonne zur Marina Wentdorf. Ich hatte mir sieben Uhr als Ziel gesetzt, denn einige Minuten danach versinkt die Sonne bereits hinter dem Horizont und hier ist die letzte Möglichkeit, wo noch Bootsverkehr herrschen könnte. Danach kommt nur noch freies Wasser.


Es ist bereits jetzt ziemlich schummrig, denn der Himmel ist dick bewölkt - und es regnet bereits eine ganze Weile. Hier lasse ich sammeln, gruppiere unsere Schar in Zweiergruppen, denn bislang sind wir weiter auseinander gedriftet, als es im Dunkeln gut wäre. Ich aktiviere meine beiden Knicklichter. Das grüne fängt brav an zu leuchten und ich benzele es hinten an meine Schwimmweste. Das rote knicke ich so gründlich ich kann, aber gute zehn Jahre Lagerung sind wohl jenseits des Limits, das solche Dinger klaglos überleben. So fährt die "rote Gruppe" also eher ohne Beleuchtung - Betzis blaues Licht dagegen leuchtet sehr geheimnisvoll!

Anfangs sind noch deutliche Abstände zwischen den Gruppen, je dunkler die Nacht wird, desto enger rücken alle zusammen. Als es nach kurzer Zeit schließlich deutlich dunkel ist, fahren sechs Kajaknasen auf absolut gleicher Höhe im Abstand zweier halber Paddellängen einträchtig nebeneinander durch die Nacht! Wegen des Windes ist das Wasser recht bewegt und meine Hoffnung auf Meeresleuchten wie im letzten Jahr erfüllt sich nicht. Dafür ist es wegen der Bewölkung aber deutlich dunkler und wir haben bald nur noch eine vage Ahnung davon, wie dicht wir am Ufer entlang fahren. Die Laternenreihe vor dem Strand von Kalifornien ist uns erst eine gute Orientierung, aber dahinter geht es eine ganze Weile ins dunkle Nichts, bis die Laternenreihe von Schönberger Strand in Sicht kommt.

An  der gesamten Küste säumen Steinmolen den Strand, die etwa fünfzig Meter hinaus ins Wasser ragen. Sie stürzen uns in ein ziemliches Dilemma, denn einerseits wollen wir nicht allzuweit aufs offene Wasser hinaus, andererseits wollen wir auch nicht auf eine dieser unnachgiebigen Begleiterscheinungen auflaufen. Man erkennt auf dem Bild des letzten Stücks unseres GPS-Tracks, dass wir den Molenköpfen bis auf 25 Meter nahe kommen - ohne sie zu sehen. Aber die Geräusche, die die auf sie rauschenden Wellen machen, lassen uns an jeder wieder ein bisschen nach draußen steuern. Dort, wo der Track einen deutlichen Schnörkel macht, bin ich mit Sven zusammengekommen, um erstmalig auf unser GPS zu schauen. Es versichert uns, dass wir nur noch wenige hundert Meter von unserem Ziel entfernt sind.

Gnädiger Weise hat der Regen aufgehört, als wir uns am dem Rasen am Deich umziehen. Das ist sehr angenehm, denn es ist auch so nicht gerade mollig, eine Weile nackig im Wind zu stehen, bis man trockene Kleidung an hat. Es herrscht heute geradezu Hochbetrieb auf der Promenade: Kurz nachdem wir unsere Kajaks hier auf den Rasen gelegt haben, schiebt ein Pärchen seinen Kinderwagen durch die Nacht. Ein paar Minuten später schlendern zwei Jugendliche vorbei, die bald aus der anderen Richtung wieder zurück kommen. Und dann erscheint ein überdimensionaler Regenschirm, unter dem schließlich ein bekanntes Gesicht hervorkommt: Gerdi lädt uns wieder auf einen Tee zu sich nach Hause ein.

Die Runde bei Inge und Gerdi ist wieder so gemütlich, dass wir beschließen, die Tour im nächsten Jahr auf einen Freitag zu legen. Dann können wir so lange bleiben, wie wir möchten und müssen nicht wieder vorzeitig aufbrechen, weil wir alle am nächsten Tag am Arbeitsplatz erscheinen müssen.

Montag, 16. September 2013

Wiederbelebung

Am Beginn der Woche spürte ich so ein komisches Gefühl. Ich konnte es mir erst gar nicht richtig erklären und habe überall gesucht - ob der Luftdruck ein nie dagewesenes Maß angenommen hat, die Kühe besonders tief fliegen oder ich streng unter den Achseln rieche. Nichts - nirgends ein Hinweis! Erst als ich die Mail von Sabine erhielt, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Wir haben die Woche der Wiederbelebung! Da hätte ich auch gleich drauf kommen können!

Es ist in Deutschland nicht rosig bestellt um die Kenntnis und Bereitschaft, bei einem Herzstillstand Erste Hilfe zu leisten. Andere Länder weisen da bessere Statistiken auf. Die deutsche Ärzteschaft hat es sich zum Ziel gesetzt, diesem Missstand entgegenzuwirken. Dazu haben sie eben bundesweit die "Woche der Wiederbelebung" ins Leben gerufen. Nachdem Sabine als Teil der Ärzteschaft uns auf die Gelegenheit aufmerksam gemacht hat, war es uns Freude und Verpflichtung gleichermaßen, unsere Montagstour an der Seebar vorbeiführen zu lassen. Dort nämlich hatten sich Rettungsärzte auf die Lauer gelegt, um interessierten Paddlern - und Nicht-Paddlern - eine kurze Unterweisung darin zu geben, wie man Leben retten kann.

Bevor wir uns zu Rettern der Menschheit ausbilden lassen konnten, mussten wir noch - wie jeden Montag - eine paddlerische Herausforderung meistern. Heute bestand sie darin, eine Antwort auf die Frage zu finden: Wie komme ich an einer Badetreppe, die weder dafür gedacht noch gemacht ist, aus meinem Boot? Klingt ganz einfach, erfordert aber doch ein bisschen Geschick und ist tatsächlich nicht ganz trivial. Aber alle, die sich dieser Aufgabe gestellt haben, haben sie am Ende souverän gemeistert. Und auch wenn man vielleicht nicht so oft an Badetreppen anlandet, so bequem wie an unserem heimischen Steg kommt man nicht überall aus dem Wasser. Und Kenntnisse und Fertigkeiten, die man sich an Badetreppen erarbeitet, kann man auch woanders gewinnbringend anwenden.


Die lauernden Ärzte sind schnell ausgemacht: sie haben ihr Lager ganz in der Nähe eines emsig heizenden Gasbrenners aufgeschlagen und nehmen uns freundlich in Empfang. Wir bekommen jeder eine Übungspuppe zugeteilt, die aber leider alle nur aus Kopf und Oberkörper bestehen und ausnahmslos auf den Namen "Anne" hören. Außerdem erhält jeder in kleines Merkblatt, in dem das ganze Thema auf drei griffige Punkt eingedampft ist, die man etwas so überschreiben könnte: Ansprechen, anrufen, anfangen! Besonders beim Punkt mit dem "Anrufen" wird noch einmal herausgestellt, dass man ihn nicht vergessen sollte, denn auch wenn wir Erste Hilfe leisten, muss irgendwann jemand die zweite übernehmen, sonst wird die erste schließlich die letzte sein!


Besonders beruhigend fand ich den Hinweis, dass man als Laie in keiner Hinsicht etwas verkehrt machen kann. Weder juristisch, dass man also hinterher keine Klage fürchten muss, dass man dem "Geholfenen" eine Rippe gebrochen hat, noch medizinisch, weil man mit seinem Gedrücke auch dann keinen Schaden anrichten kann, wenn das Herz des Behandelten wider Erwarten doch nicht still steht. Auf ganzer Linie beruhigt und entspannt versucht jeder ebenso konzentriert wie engagiert, seiner "Anne" neues Leben einzuhauchen. Ich lasse den Arzt mitstoppen. Nach zwei Minuten habe ich deutlich über 200 mal Annes Brustkorb zusammengepresst - und hätte mich über eine Ablösung gefreut. Im Stadtgebiet von Kiel gehen die Retter davon aus, innerhalb von acht bis zehn Minuten nach der Alarmierung am Ort des Geschehens zu sein. Deshalb ist es so wichtig, den Punkt mit dem Anrufen (112!) so früh wie möglich umzusetzen. Wenn unsere Annes am Ende der Übung nicht lebendiger waren als voher, lag das auf keinen Fall daran, dass wir sie nicht vorbildlich "geherzt" hätten - das muss andere Gründe haben!

Als wir uns der zweiten paddlerischen Herausforderung des Tages stellen: "Wie komme ich an einer Badetreppe, die weder dafür gedacht noch gemacht ist, wieder in mein Boot?", sind wir nahezu gegrillt vom emsig heizenden Gasbrenner, unter dem wir im Rythmus des Bee-Gee-Hits "Staying alive!" die Wiederbelebungsgymnastik vollführt haben. Olaf ist sogar so warm in seiner Kluft, dass er auf ein Bad zur Abkühlung in der Mitte des Fahrwassers nicht verzichten kann.

Ich kann nur jedem empfehlen, sich einmal in diese simple Technik der Wiederbelebung einweisen zu lassen. Man kann tatsächlich Leben damit retten. Man kann nichts kaputtmachen. Man kann nichts verkehrt machen. Und man muss sich nicht die Frage stellen: Hätte ich in den zehn Minuten, die ich untätig daneben gestanden habe, vielleicht etwas tun können, was diesem eben vom Notarzt für tot erklärten Menschen das Leben gerettet hätte?

Mittwoch, 4. September 2013

Leuchtturm am Mittwoch

Immer nur die Förde rauf und runter zu rutschen, ist auf Dauer weder erquicklich noch erweitert es den Horizont. Da müssen schon ab und zu ein paar eingestreute Bonbons die Lust am Paddeln immer wieder neu beleben. So haben wir uns verabredet, heute zum roten Leuchtturm zu fahren, der - wer weiß wie lange noch - so verlockend vor der Mündung unseres heimischen Fjords lauert.

Wir können heute bilderbuchmäßig studieren, wie ein grundlegender Wechsel der Wetterlage abläuft: Seit Tagen haben wir erklecklichen Wind aus ziemlich genau westlicher Richtung. Über Mittag schläft er nicht nur vollkommen ein, er kommt auch aus einer um volle 180 Grad gedrehten Richtung, nachdem er allmählich wieder aufwacht. Da der Wind nach dem Einschlafen halt erst allmählich wieder in Fahrt kommt – was ich gut verstehen kann - haben wir nicht ganz die Wellen, die ich mir erhofft hatte. Aber trotzdem hat das Wasser eine andere Stimmung, einen anderen Charakter hier draußen.

Zwar sind ein knappes Dutzend Teilnehmer zusammengekommen, aber wir haben es geschafft, für alle eine Mitfahrgelegenheit und vor allem eine Transportmöglichkeit für die Boote zu organisieren, um zum Strand vor Bülker zu fahren. Von hier aus sind es gute sieben Kilometer zur Lotsenstation, als die der Leuchtturm immer noch genutzt wird. Ich sage meinen Mitpaddlern, dass das Ziel der heutigen Tour von unserem Startplatz aus ziemlich genau in 45 Grad liegt (blaue Linie in der Graphik). Zudem haben wir einen leichten Ostwind, so dass unser Kompasskurs etwas darüber liegen sollte. Um die Navigation etwas leichter zu gestalten, schlage ich vor, dass wir auf der Linie entlangfahren, die die beiden Kabeltonnen bilden. Ich lasse einen GPS-Tracker mitlaufen und kann so unsere Spur genau nachvollziehen, die wir durchs Wasser gezogen haben. Zur besseren Illustration habe ich drei gerade rote Linien gezogen, die den Track der Hintour praktisch komplett verdecken. Lediglich die Spur der Rücktour ist neben der roten Linie zu sehen.
Trotzdem wir anfangs deutlich über 45 Grad steuern, liegt unser Kurs über Grund nur etwas über dreißig Grad. Als wir in die Nähe der ersten Kabeltonne kommen, wird auch deutlich, woher denn eine so starke Abdrift bei dem vergleichsweise lauen Wind rührt: Es herrscht eine unerwartet starke Strömung in westliche Richtung. Durch den Wechsel der Windrichtung drückt halt das Wasser, dass die ganzen letzten Tage aus der Eckernförder Bucht geweht wurde, nun wieder zurück in seine Heimat. Es ist für alle eine Überraschung, dass auf der Ostsee, die keine Tide kennt, dermaßen signifikante Strömungen auftreten können.

Für die weitere Fahrt gebe ich als Losung aus, dass die in der Ferne gerade erkennbare zweite Kabeltonne mit dem Leuchtturm in Deckung bleiben soll. Um das zu erreichen, müssen wir deutlich östlich vorhalten, um Strom und Wind zu kompensieren. Aber mit dem Auftrag, zwei Punkte in Deckung zu halten, ist das kein großes Problem. Ich frage unterwegs alle, die einen Kompass an Bord haben, nach dem Kurs,den sie darauf ablesen. Die meisten nennen etwa 70 Grad, manche sogar 90, aber das Ablesen eines Kompasskurses auf einem so kleinen Boot in einigermaßen bewegter See ist nicht ganz einfach. Auf meinem lese ich im Mittel immerhin etwa 65 Grad ab. Diese Peilung habe ich als grüne Linie ebenfalls in die Graphik eingetragen.

Es ist ganz beachtlich, wenn man bedenkt, dass unser wirklicher Kurs von anfangs 51 und später 46 Grad nur erreicht werden konnte, indem wir mehr als 65 Grad gesteuert haben. Das sind 15 bis 20 Grad Abdrift bei einer Windstärke von lauen drei Beaufort! Neben dem Reiz, einmal eine andere Strecke als an einem gewöhnlichen Mittwoch gefahren zu sein, haben wir heute an praktischem Beispiel ausgesprochen wertvolles über Wetter, Strömung und Abdrift gelernt.

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