Montag, 16. September 2013

Wiederbelebung

Am Beginn der Woche spürte ich so ein komisches Gefühl. Ich konnte es mir erst gar nicht richtig erklären und habe überall gesucht - ob der Luftdruck ein nie dagewesenes Maß angenommen hat, die Kühe besonders tief fliegen oder ich streng unter den Achseln rieche. Nichts - nirgends ein Hinweis! Erst als ich die Mail von Sabine erhielt, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Wir haben die Woche der Wiederbelebung! Da hätte ich auch gleich drauf kommen können!

Es ist in Deutschland nicht rosig bestellt um die Kenntnis und Bereitschaft, bei einem Herzstillstand Erste Hilfe zu leisten. Andere Länder weisen da bessere Statistiken auf. Die deutsche Ärzteschaft hat es sich zum Ziel gesetzt, diesem Missstand entgegenzuwirken. Dazu haben sie eben bundesweit die "Woche der Wiederbelebung" ins Leben gerufen. Nachdem Sabine als Teil der Ärzteschaft uns auf die Gelegenheit aufmerksam gemacht hat, war es uns Freude und Verpflichtung gleichermaßen, unsere Montagstour an der Seebar vorbeiführen zu lassen. Dort nämlich hatten sich Rettungsärzte auf die Lauer gelegt, um interessierten Paddlern - und Nicht-Paddlern - eine kurze Unterweisung darin zu geben, wie man Leben retten kann.

Bevor wir uns zu Rettern der Menschheit ausbilden lassen konnten, mussten wir noch - wie jeden Montag - eine paddlerische Herausforderung meistern. Heute bestand sie darin, eine Antwort auf die Frage zu finden: Wie komme ich an einer Badetreppe, die weder dafür gedacht noch gemacht ist, aus meinem Boot? Klingt ganz einfach, erfordert aber doch ein bisschen Geschick und ist tatsächlich nicht ganz trivial. Aber alle, die sich dieser Aufgabe gestellt haben, haben sie am Ende souverän gemeistert. Und auch wenn man vielleicht nicht so oft an Badetreppen anlandet, so bequem wie an unserem heimischen Steg kommt man nicht überall aus dem Wasser. Und Kenntnisse und Fertigkeiten, die man sich an Badetreppen erarbeitet, kann man auch woanders gewinnbringend anwenden.


Die lauernden Ärzte sind schnell ausgemacht: sie haben ihr Lager ganz in der Nähe eines emsig heizenden Gasbrenners aufgeschlagen und nehmen uns freundlich in Empfang. Wir bekommen jeder eine Übungspuppe zugeteilt, die aber leider alle nur aus Kopf und Oberkörper bestehen und ausnahmslos auf den Namen "Anne" hören. Außerdem erhält jeder in kleines Merkblatt, in dem das ganze Thema auf drei griffige Punkt eingedampft ist, die man etwas so überschreiben könnte: Ansprechen, anrufen, anfangen! Besonders beim Punkt mit dem "Anrufen" wird noch einmal herausgestellt, dass man ihn nicht vergessen sollte, denn auch wenn wir Erste Hilfe leisten, muss irgendwann jemand die zweite übernehmen, sonst wird die erste schließlich die letzte sein!


Besonders beruhigend fand ich den Hinweis, dass man als Laie in keiner Hinsicht etwas verkehrt machen kann. Weder juristisch, dass man also hinterher keine Klage fürchten muss, dass man dem "Geholfenen" eine Rippe gebrochen hat, noch medizinisch, weil man mit seinem Gedrücke auch dann keinen Schaden anrichten kann, wenn das Herz des Behandelten wider Erwarten doch nicht still steht. Auf ganzer Linie beruhigt und entspannt versucht jeder ebenso konzentriert wie engagiert, seiner "Anne" neues Leben einzuhauchen. Ich lasse den Arzt mitstoppen. Nach zwei Minuten habe ich deutlich über 200 mal Annes Brustkorb zusammengepresst - und hätte mich über eine Ablösung gefreut. Im Stadtgebiet von Kiel gehen die Retter davon aus, innerhalb von acht bis zehn Minuten nach der Alarmierung am Ort des Geschehens zu sein. Deshalb ist es so wichtig, den Punkt mit dem Anrufen (112!) so früh wie möglich umzusetzen. Wenn unsere Annes am Ende der Übung nicht lebendiger waren als voher, lag das auf keinen Fall daran, dass wir sie nicht vorbildlich "geherzt" hätten - das muss andere Gründe haben!

Als wir uns der zweiten paddlerischen Herausforderung des Tages stellen: "Wie komme ich an einer Badetreppe, die weder dafür gedacht noch gemacht ist, wieder in mein Boot?", sind wir nahezu gegrillt vom emsig heizenden Gasbrenner, unter dem wir im Rythmus des Bee-Gee-Hits "Staying alive!" die Wiederbelebungsgymnastik vollführt haben. Olaf ist sogar so warm in seiner Kluft, dass er auf ein Bad zur Abkühlung in der Mitte des Fahrwassers nicht verzichten kann.

Ich kann nur jedem empfehlen, sich einmal in diese simple Technik der Wiederbelebung einweisen zu lassen. Man kann tatsächlich Leben damit retten. Man kann nichts kaputtmachen. Man kann nichts verkehrt machen. Und man muss sich nicht die Frage stellen: Hätte ich in den zehn Minuten, die ich untätig daneben gestanden habe, vielleicht etwas tun können, was diesem eben vom Notarzt für tot erklärten Menschen das Leben gerettet hätte?

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